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ATLANTIC CROSSING #2 - Haben wir wirklich gerade den Atlantik auf einem 11 Meter langen Boot überquert?

Eine Atlantiküberquerung zu dieser Jahreszeit und in diesen Breitengraden läuft in der Regel ohne große Überraschungen ab. Der Passat weht einen stabil nach Westen, nur zeitweise unterbrochen durch heftige Regenschauer und mehr Wind, sogenannten Squalls.

 

Gestärkt durch guten Schlaf und einige Wanderungen auf den Kap Verden brachen wir mit unserer MIKA gen Südamerika auf.

 

Die ersten sieben Tage liefen nach Plan. Essroutine, Schlafroutine, Wachroutine, Leseroutine. Immer abwechselnd oder auch mal anders herum.

 

Unsere Passatbesegelung war eine Offenbarung, das Boot so stabil und so flott.

Kiloweise frisches Obst und Gemüse befriedigten in bester Weise den Gaumen, von Seekrankheit keine Spur. An Tag drei backten wir sogar einen Kuchen!

 

Bald war der Muskelkater der Wandertouren nur noch in unseren Köpfen und wir spürten unsere Rücken vom vielen Liegen und Sitzen. Carlita startete 30 minütige Workouts in der Vorderkabine. Marc spannte bei Schräglage hin und wieder seine Bauchmuskeln an.

Bücher, die in der Jugend begonnen und als zu langweilig und langatmig weggelegt worden waren, trafen hier auf das perfekte Milieu: Keine Konkurrenz durch Ablenkungen. Endlose Weiten. Endlose Tage und Nächte. Am Ende waren die 657 Seiten „Buddenbrooks“ bewältigt und man hatte sogar Gefallen an der Ereignislosigkeit des Buchinhaltes gefunden, die der eigenen so sehr ähnelte.

Carlita hörte „Moby Dick“, Goethes „Wahlverwandschaften“ und „Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer“ von Jules Verne. (Die Klassiker sind öffentlich und ganz offiziell kostenfrei zugänglich.)

 

So ging es bis Tag 7. Wir fürchteten uns schon vor einer weiteren Woche Langeweile.

 

An Tag 7 sagte unser Autopilot „Game over“. Der Supergau war eingetreten.

Am Tag vor der Abreise hatten wir uns noch mit anderen „Yachties“ über diesen unwahrscheinlichen, in unseren Ängsten auftretenden Fall unterhalten. Sie hatten gesagt sie hätten einen Ersatz-Autopiloten originalverpackt dabei. Wie man den auf See installiert, fraglich..

 

Wir hatten jedenfalls einen zweiten Autopiloten bereits verbaut. Keine so brilliante hydraulische Einheit wie die Nummer 1, sondern einen mit Zahnradantrieb via Elektromotor, ähnlich einem Keilriemen. Dieser machte seinen Job anfangs erstaunlich gut, doch der Wind frischte mehr und mehr auf, sodass auch der Seegang rauher und das Steuern anspruchsvoller wurde. Da der Riemen schon nach wenigen Stunden ausgeleiert war und nachgespannt werden musste, war uns schnell klar: Dieses Gerät hat noch eine Lebenserwartung im Bereich von Stunden bis Tagen. Also steuerten wir ab Tag 8 tagsüber selbst und schonten den Autopiloten für die Nächte, jede geschenkte Nacht war Gold wert, wenn auch voller Sorge.

 

Die See wurde rauher, der Wind nun regelmäßig über 30 Knoten, das war zu viel für den Gummiriemen, der auch durch Nachspannen nicht mehr zum Leben zu erwecken war. Jetzt war der „worst case“ eingetreten. Das verzweifelte Quietschen und Knarzen des alten Gummis fand ein jähes Ende. Trotz des steifen Windes kehrte verhältnismäßige Ruhe ein. Wir hatten mental genug Zeit gehabt, uns auf diesen Zeitpunkt X vorzubereiten und konnten es mit Fassung tragen.

 

Ca. 72 Stunden steuerten wir per Hand - am Stück, ohne Unterbrechung. Und es ist nicht wie Autofahren, wir mussten uns alle 2 Stunden abwechseln, weil es so anstrengend war. In den freien 2 Stunden hatte man zu schlafen, aber auch das gelang nicht immer und so hatten wir nur 2- 4 Stunden Schlaf in der Nacht. Tagsüber musste der, der nicht steuerte sich ums Essen kümmern, was zunehmend durch 4-5m hohe Wellen erschwert wurde. Verzweifelt fragten wir immer wieder bei Matthias die Windvorhersage ab, wann es denn endlich mal wieder weniger werden sollte, aber das war erst am letzten Tag der Fall. Zu allem Überfluss hatten wir nun die Strömung gegenan und obwohl wir nur so durchs Wasser flitzten, machten wir über Grund wenige Meilen. Demoralisierung vom Feinsten. Nicht zu erwähnen, dass unser Trinkwasser trotz Chlor und Silber in der Zwischenzeit verkeimt war und wir auf unser Flaschenwasser zurückgreifen mussten, das war Nebenschauplatz.

 

Am letzten Tag stieg die Moral durch gefällige Winde, Strömung und den Landfall vor Augen.

 

Als die "Iles du Salut" in Sicht kamen, war alles vergessen. Wir waren nicht nur drüben angekommen – wir waren im Paradies.

 

 

Nachtrag:

 

 

Tag 4  „LiebeFamilie.gehtUnsGut.nichtSeekrank.guterWind“

 

Tag 7 „VielWelleUndWind,SindGanzGeschwind;ManchBlaueFlecke,RavioliZumZwecke;                                                                   DerSchlafeMangelt,UndKeinerAngelt“

 

Tag 8  „HappyNikolaus!UnserGeschenk:Autopilot1Kaputt,AP2ok“

 

Tag 9  „AP2overload,fastKaputt.Bangen.bald24hSteuern?“

 

Tag 10  „SteuernTagsSelbst,NachtsDerAPunterPräfinalemÄchzen“

 

Tag 13  „Seit36h100%Handsteuern.AnkunftMorgenAbend“

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Kommentare: 7
  • #1

    Lorena (Montag, 16 Dezember 2019 21:54)

    "Ihr seid einfach so krass" ging mir beim Lesen durch den Kopf :D
    Ich freu mich sehr, dass ihr heil angekommen seid. Lasst es euch im Paradies gutgehen!
    Ich hoffe auf baldige neue Bilder ;)

  • #2

    Jan (Dienstag, 17 Dezember 2019 00:31)

    Na also!
    Hab jeden Tag 2xmal nach updates gecheckt seit 2 Wochen und Windy beobachtet.
    Was ist eigentlich mit eurem AIS...? ;-)

    ... Ihr bekommt was ihr wolltet ;-)
    Ihr seid halt nicht unter zu kriegen... grace under pressure ...chapeau!!
    X Jan

  • #3

    Luise (Dienstag, 17 Dezember 2019 18:29)

    Woooow!!! Glückwunsch � ihr seid echte tapfer! Was für ein schönes Weihnachtsgeschenk :)
    Bin froh dass ihr angekommen seid ! Lasst es euch gut gehen �

  • #4

    Rainer von Marée (Mittwoch, 18 Dezember 2019 14:09)

    Well done und nun für Euch Jingle Bells in Tropenformat. Liebe Grüsse. Rainer & Anne

  • #5

    Gaït (Freitag, 20 Dezember 2019 05:00)

    What an achievement! I love your style and pics :)
    Hope to catch up soon... Frohe Weihnachten!

  • #6

    Stephi (Sonntag, 22 Dezember 2019 16:17)

    Ihr seid große Klasse!!! Ich bewundere euch und freue mich riesig, dass ihr jetzt „da“ seid. Genießt es!
    Und danke auch von mir für die tollen Berichte!
    Stephi

  • #7

    HRD (Dienstag, 31 Dezember 2019 19:58)

    ...Glückwunsch zur Atlantiküberquerung! Tolles Management auch in der Notsituation. Hoffentlich bekommt ihr die passenden Ersatzteile für euren defekten Autopilot. Wir von der Elisa wünschen euch eine schöne Zeit in der Karibik. Paßt gut auf euch auf und habt weiter tolle Seemeilen mit eurem Boot! LG Bernadette und Hans-Richard