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Atlantic crossing (West to East)

Wow, dieser Blog wird anspruchsvoll, ca. 5 Wochen wollen angemessen wiedergegeben werden!

 

Der Abschied aus unserem liebgewonnen Ankerdorf fiel schwer und es liefen Tränen als wir Martinique im Sonnenschein verließen.

 

Die ersten fünf Tage verliefen nach Plan. Wir hatten zwar kräftigen Nordostwind, aber damit hatten wir gerechnet und wir machten immerhin reichlich Meilen in ungefähr die richtige Richtung. Nur eine Spur von Seekrankheit, beständiges Wetter, Buddyboat Karma immer in Sichtweite, das hat Spaß gemacht.

Je weiter nördlich desto kühler, länger hell, weniger Seegras und weniger tote fliegende Fische am Morgen.

 

Danach hatte sich die Vorhersage so geändert, dass wir nicht wie erwartet auf direkten Kurs nach Horta gehen konnten, sondern wir mussten immer weiter nach Südost fahren, um dem Sturmtief auszuweichen, denn der erste tropische Sturm der Saison (Arthur) machte sich auf den Weg und beeinflusste das komplette Atlantikwetter.

 

Dabei hatten wir aber kaum Wind. Das war 1-2 Tage lang schön zum Ausruhen, Backen, Duschen, aber wir kamen (mit Schmetterling oder Gennaker) nicht gut genug voran, um effektiv auszuweichen, daher benutzten wir den Motor schon einige Stunden in dieser zweiten Woche.

 

Eine Kaltfront holte uns ein, Gewitter erst in der Ferne, nachts dann überall um uns herum. Karma und wir packten die mobile Elektronik in den Backofen (Faradayscher Käfig), wir machten den Motor an und ansonsten konnten wir nur hoffen, keinen Blitzschlag abzukriegen. Ich hatte Angst. Keine Angst um unser Leben, aber Angst um die ganze Elektronik inkl. des Motors, die Batterien, die Autopiloten, dass uns Borddurchlässe durchschmoren und wir plötzlich Wasser im Schiff haben… Kontrollverlust, man hat es nicht in der Hand, ausweichen nicht möglich, die Blitze waren ja überall.

 

Die Nacht ging vorüber – ohne Schaden, und die Front war durchgezogen. Mit ihr verschwand die Flaute, plötzlich hatten wir wieder Nordostwind (exakt aus der Richtung in die wir wollten), der in den nächsten Tagen bis 6 Bft anwuchs und sich später zeitweise auf unverschämte 7 Bft erhöhte. Vor dem Wind wäre das völlig okay - auf Am-Wind-Kurs war es echt zum Abgewöhnen. Die Welle wurde immer höher und steiler, das Boot krachte in die aufgewühlte See, die Gischt spritzte über das komplette Deck, sogar übers Bimini (den Sonnenschutz im Cockpit). Wir hatten unseren Regenauffänger noch untergestellt, aber wir sammelten übers Bimini mehrere Liter Salzwasser und keinen Regen!!!

Man denkt man hält es nicht mehr länger aus, aber dann geht es nochmal 24 Stunden weiter und natürlich hält man es aus. Man kann auch nicht weg, ausruhen, schlafen und dann weiterkämpfen. Also behält man die Nerven, weil es keine andere Wahl gibt.

 

Der zweite tropische Sturm war unterwegs, Bertha.

 

Wir passten den Kurs so an, dass wir zwar in die ziemlich falsche Richtung fuhren (nach NNW), aber dafür war es besser aushaltbar. Zu allem Überfluss wurde Marc plötzlich krank (hatte was Falsches gegessen oder plötzliche Seekrankheit?), musste sich übergeben und ich machte spontan noch seine Nachtschicht in der Hoffnung, dass er sich durch Schlaf bald erholen würde. Auch da war der mentale Support durch Karin und Marco über Funk unersetzlich.

 

Ziemlich genau in der Mitte des Trips, also mitten auf dem Atlantik hatte ich dann plötzlich insgesamt 3 Segelboote in Sichtweite, noch 2 weitere auf dem AIS und einen Tanker. Massentourismus Atlantiküberquerung.

 

So schnell wie der Wind kam, ging er auch. Nach den 5-6 Tagen folgten zwei Tage ohne Wind, dafür hatten wir 1-2 Knoten Gegenstrom. Sobald wir beschlossen hatten den Motor auszumachen, da kein Wind in Reichweite war und wir den Diesel für später aufsparen wollten, fuhren wir exakt rückwärts! Wegen der Strömung.

 

Die Flaute hatte auch was Gutes, wir konnten Marco und Karin face to face sprechen! Sie kamen auf wenige Meter heran und es tat unfassbar gut, sie mal wieder zu sehen, die zwei Lieben. Wir hatten zwar ca. alle 2 Stunden Funkkontakt, aber es ist doch etwas anderes. Fast hätten wir die beiden Boote einfach vertäut, dann hätten wir uns besuchen können. Aber der alte Schwell war noch zu heftig und ein Berühren der Masten mit entsprechendem Schaden konnten wir einfach nicht riskieren.

 

Schwimmen konnten wir leider auch nicht, obwohl das Boot völlig ruhig im Wasser lag. Überall um uns herum waren Tausende von „Portugiesischen Galeren“, diese faszinierenden Polypen, die meterlange giftige Tentakel haben.

 

Plötzlich kam wieder zu viel Wind mit Wolken, Regen und faszinierenden Windschifts in alle Richtungen und Strömung, sodass dieser Kurs dabei heraus kam.

Pink=Ziel-Strecke; Gelb=gefahrene Strecke mit teils 2 Knoten Gegenstrom und wechselnden Winden
Pink=Ziel-Strecke; Gelb=gefahrene Strecke mit teils 2 Knoten Gegenstrom und wechselnden Winden

Nach diesem interessanten Schlenkertag ging es 9 Tage lang sehr ruhig zu. Oft ließen wir uns einfach treiben, wenn der Wind ganz einschlief, ansonsten hatten wir wunderbare Segeltage mit einer „leichten Brise“, die ausreichte um unser 8 Tonnen Leichtgewicht voranzubringen, eine flache See, ständig Delfine mit uns, und das Beste, worauf ich so sehr gehofft hatte: Ein Wal!!! (Vielleicht ein Zwergwal?)

Erst sah man ab und an Fontänen in der Ferne, plötzlich tauchte ein Ungetüm, vielleicht so lang wie unser Boot, direkt wenige Meter neben uns auf, prustete und tauchte vor uns wieder ab. Er war eine Weile bei uns, schwamm auf und ab und vor und zurück bis er schließlich abdrehte. Unbeschreibliches Naturerlebnis! Nicht jeder empfindet das so, für Karin auf Karma war es ein ziemlicher Schreck, als auch sie einen Wal neben sich auftauchen sah…

Wir waren darauf eingestellt so noch ein paar Tage bis nach Horta zu dümpeln, als es plötzlich hieß: Ihr kriegt wieder Gegenwind! Dafür hatten wir nun wirklich überhaupt keine Nerven mehr, aber once again: "You take what you get, because you have no choice!"

 

Also fuhren wir wieder in die falsche Richtung, nach Nordost Hoch-Am-Wind, machten eine letzte Wende nach Südost und kamen mit einem letzten Paukenschlag von 7 Bft-Böen am frühen Morgen des 12. Juni in Horta an...

Die gefahrene Strecke Martinique - Faial
Die gefahrene Strecke Martinique - Faial

Um euch einen Einblick in unseren Alltag zu geben:

 

Wir machen 8 Stunden Schichten, der Schichthabende schaut mindestens alle 30 Minuten nach Schiffsverkehr, Wetter, Kurs, etc. So wechselt man sich jede Nacht ab und schläft zwischendurch lang genug, um nicht ständig müde zu sein, für uns ein gutes bewährtes System.

 

Die Morgenwache, die zu Sonnenaufgang beginnt, schreibt Matthias die Position und bekommt eine präzise Windvorhersage per Satellitentelefon. Außerdem ruft er oder sie die Wetterfaxe (Ist, 24h, 48h, 72h-Vorhersage, Hurricanewarnungen,...sowie Eiskarten ;D) über Kurzwelle ab, die wir fast täglich empfangen haben, nur selten war der Empfang zu schlecht.

 

Dann werden unsere Sprossen gegossen, die alle 5-7 Tage ein wunderbares Kopfsalat-Äquivalent ergeben, bestens geeignet für Wraps.

 

Später bespricht er oder sie sich mit Marco, der am Vormittag anruft und die frohe Botschaft verkündet: „I got a message from Ruut“. Das ist der Wetterprofi, mit dem er zusammengearbeitet hat.

Daraus wird dann eine Strategie für die nächsten 24-72 Stunden gemacht, die oftmals wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel, weil das Wetter dann doch nicht machte, was es sollte.

 

Anschließend gibt es Müsli, sobald die Nachtwache ausgeschlafen ist. Tagsüber macht jeder das Seine: Lesen, Häkeln, Sudoku, Podcasts, Kuchenbacken, Brotbacken, Kochen.

 

Alle vier Stunden wird Logbuch geschrieben: Wo? Wie weit? Wohin? Wetter? Wie? Um 15 Uhr UTC war „Etmal-Zeit“. Dann wird die gefahrene Strecke der letzten 24h errechnet und man klopft sich entweder auf die Schulter oder ist ein wenig niedergeschlagen.

 

Alle zwei Stunden tauschen wir Positionen mit Karma aus und versuchen sie am Horizont zu erspähen, nachts durch die Lichter leichter als am Tage. Ggf. werden Kurse und Segelfläche angepasst, um zusammenzubleiben. Manchmal hilft alles nichts und einer muss „beidrehen“ – parken auf dem Meer.

 

Am Abend schauen wir meist einen Film. Dann geht der Eine ins Bett und der Wachhabende bleibt etwas länger wach, bis auch er ein bisschen schläft und sich alle 30 Minuten den Wecker stellt.

 

Alle 5-7 Tage gönnten wir uns schließlich eine Dusche an Deck, natürlich an den sonnigen windarmen Tagen, denn es wurde merklich kälter je weiter wir nach Norden kamen.

 

So vergingen die Tage wirklich schnell und es hätte zur Not auch noch eine Weile so weiter gehen können (nur ohne Gegenwind).

 

Was uns wirklich über Wasser gehalten hat, war das geteilte Leid und die geteilte Freude mit Karma. Zum Beispiel – und das darf man eigentlich nicht laut sagen - spielten wir „Schiffeversenken“ (auf Holländisch „Zeeslag“) über Funk: Plums!“  „Bumm!!“  „PlubbPlubbPlubb!!!“

 

Wir hatten viel Spaß zusammen und man konnte einfach mal schwätzen, wenn einem langweilig war. Und letztlich ist es eine zusätzlich Sicherheit, wenn einem etwas Unvorhergesehenes zustößt. Die beiden hatten im Sturm Salzwasser in ihren Wassertank gekriegt, wahrscheinlich über die Tankentlüftung, und sie haben nur einen Haupttank; dumm gelaufen! Zum Glück hatten sie genug Flaschenwasser dabei, aber wir hätten aushelfen können.

Daten und Fakten:

 

3030 Seemeilen (statt 2300 nm auf direktem Weg)

 

29 Tage und 17 Stunden auf See

 

22 von 30 Tagen Am-Wind-Kurs

 

Wendewinkel über Grund bei 6-7 Bft und 3m-Atlantikwelle samt entspr. Gegenstrom: 135-140°

 

6 von 30 Tagen Flaute

 

2 Kursänderungen erforderlich, um Kollision zu vermeiden (nicht mit Karma!)

 

152l Dieselverbrauch

 

Durchschnittsgeschwindigkeit: 4,2 Knoten

 

Maximalgeschwindigkeit: 7,6 Knoten

 

Minimalgeschwindigkeit: -1,8 Knoten

 

Maximale Wassertemperatur: 30° C

 

Minimale Wassertemperatur: 21° C

 

Maximale Bootstemperatur: 33° C

 

Minimale Bootstemperatur: 19°C

 

Gesamtwasserverbrauch 340l = 5,6l/Person und Tag (inkl. Trink- und Kochwasser)

 

5 Decksduschen pro Person in 30 Tagen

 

Tag 23: letztes Gemüse ging aus und wir kochten erstmals ein reines Dosengericht: Spinat-Gorgonzola-Risotto, ein Traum!

 

Tag 24: Zum ersten Mal auf direktem Kurs nach Horta, insgesamt für nur 4 Tage

 

6 Tafeln Schokolade verzehrt

 

27 Filme geschaut

 

193 Positionen mit Karma ausgetauscht

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Kommentare: 7
  • #1

    Janina (Montag, 15 Juni 2020 16:21)

    WOW! Was ein Abenteuer! Was für spannende Tage und traumhafte Aussichten.... <3

  • #2

    Armin (Montag, 15 Juni 2020 17:56)

    Ahoi, ist ja spannender als die Überfahrt von Christoph Kolumbus, wünsche gute Erholung und alles Gute für die weitere Fahrt, ganz liebe Grüße

  • #3

    Rainer von Marée (Montag, 15 Juni 2020 21:56)

    Das ist ja gut gelaufen. Wie heissen denn jetzt Eure beiden Maskottchen? Echt süß. Vielleicht findet Ihr in Horta auf der Kaimauer noch die Zeichnung von Marée aus 2017, falls Ihr an Land gehen dürft?

    Der Shutdown hat sich in Deutschland für Euch durchaus auch inzwischen in Einzelbereichen positiv ausgewirkt. Laut dem vorletzten Yacht Magazin steigt die Nachfrage nach Gebrauchtyachten aktuell stark an und damit auch die Preise. Kismet ;-)

    Ganz liebe Grüße - Mast und Schotbruch für die restliche Strecke

    Rainer

  • #4

    Marike (Montag, 15 Juni 2020 21:56)

    Toll! Liest sich wunderbar in ein paar Minuten, kaum zu glauben, dass ihr das alles in mehreren Wochen erlebt habt! Bin beeindruckt, ganz schön viel Durchhaltevermögen, ihr Lieben.

  • #5

    Jan Flu (Dienstag, 16 Juni 2020 01:17)

    Schön, dass ihr gut angekommen seid!
    Hab eure Ankunft schon seit Tagen erhofft, aber mir gedacht, laut windy, dass ihr wohl meist Gegenwind hattet. Das ist hart. Erholt euch gut :-) Wie lange bleibt ihr auf den Azoren?
    Alles Liebe, Jan

  • #6

    Annette (Dienstag, 16 Juni 2020 10:32)

    Schön von euch zu lesen - vor allem, dass ihr gut angekommen seid! Haben in den letzten Wochen immer mal wieder die Tage nachgezählt, wie lange ihr wohl noch unterwegs seid. War sicher ein tolles Erlebnis, das ihr nicht mehr vergessen werdet :)
    Sind gerade an der Ostsee und müssen bei jedem Segelboot an euch denken ;-)

  • #7

    Cristina (Mittwoch, 17 Juni 2020 01:56)

    Es macht solchen Spass, den Blog zu lesen, ganz toll. Ich bin froh, dass ihr gut angekommen seid �